Das neue Zitat im Kopffeld könnte ja auch dikutiert werden. Jaaa, aber es ist doch ganz anders gemeint, sagen die Gläubigen: Die Gläubigen, die sich im Geiste vorstellen, arm zu sein und somit arm (als demütig) handeln - DIE sind damit gemeint! Alles ein Übersetzungsmissgeschick. Wirklich?
_____________________________________________ "Ich bin vom Glauben zum Wissen konvertiert!" (Hamed Abdel-Samad)
Es ist schon so, dass die fruehe Kirche eindeutig bildungsfeindlich war. Kirchengeschichtler haengen der Kirche zwar gerne das Maentelchen der Bewahrerin antiker Schriften in den Kloestern um, aber diese auf Augustinus beruhende Einstellung zur antiken Ueberlieferung fasste erst im Mittelalter langsam Fuss. Gregor "der Grosse" dagegen verachtete antike Literatur und verbot, dass irgendjemand in seiner Gegenwart antike Autoren zitierte, es sei denn Kirchenautoren. Ich halte es fuer wahrscheinlich, dass es zu Beginn der christlichen Herrschaft zu verbreiteten Buecherverbrennungen gekommen ist, von denen uns sogar einige von den Kirchenvaetern selbst ueberliefert sind.
Bildungsfeindlichkeit und die Verurteilung jeglichen Hinterfragens faengt ja schon mit der Paradiesgeschichte an. Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis, worueber meist hinweggeschwurbelt wird. Gottes Begruendung fuer den Rauswurf aus dem Paradies spricht auch Baende: er befuerchtet, die beiden wuerden auch noch vom Baum des Lebens essen und dann endgueltig so werden wir er. Und, wie wir wissen, er mochte keine Goetter neben sich.
Eine etwas verstecktere Anspielung an die Bildungsfeindlichkeit findet sich in der Heilung des blinden Bartimaeus - was, wie der Evangelist Markus extra betont, "Sohn des Timaeus" bedeutet. Der Timaeus war eines der in der Antike bekanntesten Werke Platons, von dem wohl jeder halbwegs Gebildete damals gehoert hatte. In dem Werk geht's unter anderem auch darum, wie das Sehen funktioniert (war zwar falsch, aber versuchte sich in einer naturphilosophischen Begruendung). Dies war also ein "Sohn des Timaeus", aber trotzdem blind. Die Nachricht hier ist auch: Lernen ist nutzlos, davon siehst Du nichts; erst der bedingungslose Glaube bringt Dir das wahre Sehen.
Die Priesterschaft hatte schon immer Probleme mit Leuten, die zu viele Fragen stellten.
Zitat von UlanDie Priesterschaft hatte schon immer Probleme mit Leuten, die zu viele Fragen stellten.
Ja. Funktioniert aber leider. Diese Haltung verdirbt die Diskussionslust der Gläubigen insgesamt! Sie kommen sich tolerant vor, indem sie alle Kritik zulassen (die Christen heute meine ich), tragen aber nur ihr Gegenargument bei (wenn überhaupt), und tun den Deibel, sich z.B. von deinem Argument beeindrucken zu lassen! So ist meine Erfahrung mit den Christen. Sie lassen uns unser Dialogsüppchen kochen und halten sich aus ihm lieber raus. Weitgehend. Ich meine, sie tun das ja nicht aus Boshaftigkeit. Da ist doch einiges kaputtgegangen.
Dieser von Neugierde freie Glaube ist immer noch ein spürbarer Grundpfeiler der Informationsverarbeitung und Sprachbildung in unserer Zeit! Die Wissenschaftsferne - oder gar -feindlichkeit - bekam aber in der Renaissance einen entscheidenden Bruch, und die Klöster kümmerten sich um die alten Römer und Griechen und die Wissenschaften. So konnte alles schön unter der Kontrolle des Klerus bleiben. Eine zeitlang.
Die Wissenschaften profitieren von unserer Streit- und Diskussionskultur. Und die Religionen davon, dass wir für die Religionen offenbar eine Sonderregelung gefunden haben, sie dieser Kultur zu enthalten. Das ist wirklich tragisch! Die Religionen fördern mit ihrer Ethik der Diskussionsunwilligkeit auch die Neigung vieler zu Verschwörungstheorien! Zu viele misstrauen der Meinungsbildung, die von den Wissenschaften getragen wird. Und dieses Misstrauen ist auch ein Kind der herrschenden Religionen! Verschwörungstheorien sind die kleinen Schwestern der (heute) großen Religionen. Sie sind beide Kinder der Wissenschafts- und Kritikfeindlichkeit. Mit Realität und Selbstkritik können sie beide nicht viel anfangen...
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Religion hat ja eher eine Sozialfunktion als sonst irgendetwas. Zu menschlichen Verhaltensmustern in Gruppen gibt's genuegend Untersuchungen. Es gibt dominante Persoenlichkeiten, die die Ideen/gedankliche Marschrichtung vorgeben, und Menschen mit sozialer Intelligenz wissen, dass es fuer sie vorteilhaft ist, sich diesen Gedanken anzuschliessen und sie selbst aktiv zu vertreten. Eine neuere Studie (habe gerade den Link nicht parat) hat dabei sogar festgestellt, dass diese Leute durchaus wissen, dass das, was sie da nachplappern, falsch ist. Sie halten es lediglich fuer opportun, das nachzplappern. Wenn man dann offen Andersdenkende niedermacht, ist das ein laestiger Konkurrent fuer den Platz am Futtertrog weniger.
Dazu kommen noch Leute, die Angst vor eigenen Entscheidungen haben. Wenn es nicht sie selbst waren, die die Entscheidungen getroffen haben, haben sie jemanden, auf den sie die Verantwortung beim Scheitern abschieben koennen. Ist halt praktisch.
Das sind Denkformate einer vordemokratischen Welt. Und einer vorwissenschaftlichen. Mein Lieblingsphilosoph unter den Musikern - John Lennon - sang ja mal "A million heads are beteer than one!" (Only people, Album: Mind Games) Sehe ich auch so! Aber unser ganzes Sozialverhalten ist noch sehr in den tradierten Autoritätsfixierungen verhaftet. Besonders bei den sogenannten Linken, muss ich leider sagen. Das muss jedoch nicht (und wird auch nicht) so bleiben.
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